Mittwoch, 15. November 2017

Monat 3 - Tekove paraguaya

Blick aus dem Küchenfenster nach einem Gewitter

Das erste Viertel meines Freiwilligendienstes ist schon vorbei - aus diesem Grund möchte ich euch das tekove paraguaya, vida paraguaya oder einfach Alltagsleben Paraguays ein bisschen näher vorstellen.
Fernab habe ich unter "Mein Projekt"  auch die Informationen über meine Arbeit ein bisschen aktualisiert.

Mein Tagesablauf sieht in etwa so aus:
Um 5.45 Uhr stehe ich auf, um erst zu duschen und dann - meistens allein - zu frühstücken. Ab und zu leisten mir mein Cousin oder die empleada (Haushaltshilfe) Gesellschaft. 
Gerade dadurch, dass ich unter der Woche oft allein esse, ist mir aufgefallen, wie wichtig es mir ist, mit Menschen zusammen zu essen, weshalb ich die gemeinsamen Essen am Wochenende um so schöner finde.

Seit wir nach eineinhalb Monaten auch mal rausgefunden haben, das mein Gastvater auf seinem Weg zur Arbeit ziemlich genau an meinem Büro vorbeifährt, fährt er mich morgens zur Arbeit. Auf diese Weise habe ich auch die Möglichkeit, ein bisschen Zeit mit meinem Gastvater zu verbringen, was sonst aufgrund der Tatsache, dass er erst nach Hause kommt, wenn alle schlafen und auch das ganze Wochenende arbeitet, nur ziemlich beschränkt möglich ist. Auf dem Weg setzen wir noch meine kleine Schwester an ihrer Schule ab.

Mittlerweile habe ich mich an die Verkehrssituation Asuncións gewöhnt, aber chaotisch ist immer noch untertrieben, um sie zu beschreiben. Um bei der Vielzahl von Autos möglichst schnell an sein Ziel zu gelangen, scheint es vor allem zwei Dinge zu benötigen: Gaspedal und Hupe. Rote Ampeln stellen zumindest tagsüber das einzige wirkliche Haltesignal dar, wenn der Verkehr nicht gerade von Polizisten geregelt wird, was vor allem zur Rushhour morgens und nachmittags der Fall ist. Ansonsten passen hier auf zweispurigen Fahrbahnen auch gerne mal drei Autos nebeneinander; wenn die Gegenfahrbahn frei ist, weichen die Autos auch darauf aus. Mein Gastvater fährt auch gerne mal einen halben Kilometer auf der gestrichelten Linie zwischen zwei Spuren, wenn es nötig ist. Offiziell gilt auch hier die Vorfahrtsregel rechts vor links, in der Realität wird aber gerne sehr schnell auf eine Kreuzung zugefahren, einmal kurz laut- und gelichthupt und durchgefahren. Als Fußgänger hat man in diesem Verkehr eher schlechte Karten, sodass es jedes Mal ein kleines Erfolgserlebnis ist, heile über die Straße zu kommen. Es gibt aber auch nette Autofahrer, die mich schon ab und zu durchgelassen haben.

Ein colectivo von innen -
mal nicht ganz so gefüllt
Um nachmittags zwischen 16 und 17 Uhr nach Hause zu kommen, nehme ich einen Bus, einen colectivo. Die gibt es in zwei verschiedenen Ausführungen - mit Klimaanlage "con aire" und ohne "sin aire". Eine Fahrt kostet 2.000 Guaranies (entspricht etwas mehr als dreissig Cent) ohne Klimaanlage, in den etwas moderneren Bussen mit Klimatisierung zahlt man 3.300 Guaranies, also auch nicht viel mehr. Gerade morgens und nachmittags sind die Busse super voll, aber wenn man ein bisschen ausserhalb der Stosszeiten fährt, steigen manchmal Straßenverkäufer ein und man kann unterwegs noch Süssigkeiten, chipa (eine Art Käsebrot), Obst oder etwas zu trinken kaufen. Gerade, wenn sich der Verkehr an den Ampeln staut, laufen die Verkäufer auch zwischen den Autos hindurch und verkaufen ihre Ware. Zweimal hatte ich es bis jetzt ausserdem, dass Leute mit Gitarren und Minilautsprechern eingestiegen sind und man so den Weg nach Hause mit einem Gratiskonzert verbringen konnte. Je nach Verkehr dauert mein Weg nach Hause zwischen 30 Minuten und 1 1/2 Stunden.
Mittlerweile wird in Asunción auch mit Haltestellen gearbeitet, je weiter man sich jedoch vom Zentrum entfernt, desto seltener gibt es welche. Was ich am Anfang super kompliziert fand, hat sich mittlerweile als sehr praktisch und bequem herausgestellt, da man quasi zu jedem Zeitpunkt aus- und auch vom Strassenrand wieder einsteigen kann (was zwar nicht gerade zu einem ruhigen Fahrstil des Busfahrers beiträgt, aber das ist eine andere Geschichte). Insgesamt ist das Busnetz aber sehr gut ausgebaut, sodass man per colectivo fast überall problemlos hinkommt. 

Ein colectivo an der Haltestelle vor meiner Arbeit
Zu Hause angekommen esse ich meist etwas (das Kaffeetrinken heißt hier merienda) und schaue dann entweder mit meiner Gastschwester und meiner Cousine eine kolumbianische Serie (die paraguayische Film- und Fernsehindustrie ist nicht groß - paraguayische Programme gibt es zwar, jedoch keine Serien, sodass hier auf die übrigen spanischsprachigen Länder zurückgegriffen wird, es gibt z. B. auch viele argentinische Fernsehprogramme), wir gehen spazieren, ich kümmere mich um meine kleine Gastschwester oder helfe im Haushalt, je nachdem, was gerade so anliegt. 
Seit etwa einem Monat habe ich radikal die Sportart gewechselt und spiele in der Mannschaft meiner ältesten Gastschwester an ihrer Uni Fussball - trotz sehr eingeschränkter Fähigkeiten meinerseits hat mich das Team sehr lieb aufgenommen und mir macht es sehr viel Spass, zu spielen. Am Wochenende spielen wir zudem manchmal mit einer der Freundinnen meiner ältesten Gastschwester Tennis.

Ausserdem kommen an den Wochenenden meist Familienmitglieder zu Besuch oder wir fahren zu Familienfreunden, um etwas zu essen. Generell grillen wir ziemlich oft (mindestens einmal die Woche, entweder, weil es etwas zu feiern gibt, ansonsten aber auch ohne besonderen Anlass), ich bin dessen aber noch keineswegs müde geworden. 

Letzte Woche waren wir mit Kommilitonen meiner Schwester und der ganzen Familie im Stadion und haben das classico, das Fussballspiel zwischen den zwei grössten rivalisierenden Vereinen Asuncións, Olimpia und Cerro Porteño, angeschaut. Anders als in Deutschland wird hier zu den Spielen leche getrunken, was aber keine Milch, sondern alkoholfreies Bier ist. Was in Deutschland die Stadionbratwurst ist, sind hier die chipas, die während und nach dem Spiel sowie in der Halbzeitpause verkauft werden, es gibt aber auch HotDogs, Hamburger und Süssigkeiten.
Die Fussballmannschaften beim Aufwärmen
Auch gerade weil es das classico war, herrschte im Stadion eine super Stimmung, es gab quasi keine Minute, in der nicht eine oder beide Mannschaften angefeuert wurden und auch der Torjubel kommt einem ohne laute Hintergrundmusik aus Lautsprechern viel emotionaler vor. Anders als ich es aus Deutschland kenne, wurden bei diesem Spiel lediglich die Auswechslungen über Lautsprecher bekanntgegeben und nach dem Spiel etwas Musik gespielt - das grosse Drumherum mit Stadionsprecher etc. gab es nicht, was mich aber auch nicht gestört hat .

Vor dem Spiel: Links unten sieht man einen Chipaverkäufer und unten in der Mitte werden Softdrinks verkauft

Zum Abschluss noch eine Korrektur des letzten Blogposts: Santiago Peña ist noch nicht der offizielle Präsidentschaftskandidat der Colorado-Partei, sondern nur einer der möglichen (aber definitiv derjenige mit der meisten Werbepräsenz, auch dadurch, dass er vom jetzigen Präsidenten unterstützt wird). Im Dezember diesen Jahres finden erst die parteiinternen Vorwahlen statt; der Gewinner darf dann bei der Präsidentschaftswahl im April 2018 antreten. 

Asunción von der Costanera aus